Vier Freunde, eine These und viel Alkohol

Moviekritik: Drunk
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© Pathe Films

Alkohol wurde in der Kultur schon oft thematisiert. «Alkohol ist dein Sanitäter in der Not …» singt beispielsweise Herbert Grönemeyer. Auf gewisse Weise passt der Satz durchaus zum neuen Film von Thomas Vinterberg. «Drunk» widmet sich ebenfalls der Volksdroge Nummer 1, bezieht jedoch keine Position zum oder gegen den Konsum, selbst wenn Jugendliche synchron erbrechen zuckt der moralische Finger nicht einmal im Ansatz. Der dänische Regisseur Thomas Vinterberg überlässt es uns, die eigenen Schlüsse zu ziehen und zeigt doch die fatale, tröstende Wirkung, die Alkohol haben kann.

 

Der Streifen wurde im April 2021 als «Bester fremdsprachiger Film» bei den Oscars® ausgezeichnete und erzählt die Geschichte von vier Freunden. Alle sind sie Lehrer und alle irgendwie nicht ganz zufrieden in der jeweiligen Lebenssituation. Bei einem geselligen Abend anlässlich eines 40. Geburtstags wirft einer der Freunde die These des norwegischen Wissenschaftler Finn Skårderud in den Raum. Der sagt, dass der Mensch mit 0,5 Promille Blutalkohol zu wenig geboren werde und ein konstanter Pegel von 0,5 Promille den Mangel ausgleichen und folglich das Leben erleichtern würde. Die Frage, ob Alkohol in kleinen Mengen das Leben leichter macht, wirkt schnell brutal verlockend. Daher beschliessen die Freunde, die These auszuprobieren. Natürlich wird darüber eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben, quasi als Alibi, denn grundlos zu trinken ist für die Lehrer doch zu gewagt.

 

Morgendlicherw Wodka auf der Schultoilette

 

Martin (Mads Mikkelsen) ist die Hauptfigur. Der Lehrer ist vom Leben gelangweilt und steckt in einer Sackgasse. Im mittleren Alter, verheiratet, zwei Kinder, die ihn kaum wahrnehmen und nicht einmal mehr von seiner Klasse wird er respektiert. Das ändert sich schnell, als Martin mit dem massvollen Trinken anfängt. Der heimliche Wodka auf der Schultoilette und ein Messgerät für den Blutalkohol werden zu alltäglichen Begleitern. Martin versucht den Alkohol natürlich zu verheimlichen, denkt dabei an alles, läuft aber trotzdem sehr schnell wortwörtlich gegen die Wand. Spätestens hier denkt man, dass dieses Experiment nicht gut gehen kann und hofft für die charmant-unscheinbaren und menschlichen Lehrer, dass sie nicht sehenden Auges in eine Katastrophe rennen.

 

Trailer zu «Drunk»

 

Thomas Vinterberg dirigiert sein Hauptdarstellerquartett geschickt durch den Film. Selbst bei Szenen im Vollsuff wirken sie authentisch und spielen ganz gross auf. Dabei ist beim Dreh natürlich kein Alkohol geflossen. Neben Szenen, in denen der Pegel der vier Freunde nahe an einer Alkoholvergiftung sein dürfte, beleuchtet der dänische Regisseur Aspekte wie den Gruppenzwang beim Alkoholkonsum und verweist dabei auf das soziale Schmiermittel, das Alkohol zweifellos ist, obwohl er viel Schaden anrichten kann. Wenn Martin anfangs keinen Alkohol trinken möchte und dafür von seinen Freunden hochgenommen wird, zeigt sein glasig leerer Blick quälend und wortlos, was in ihm vorgeht und steht gleichzeitig solidarisch für abstinente Menschen. Wieder passiert diese Symbolik, ohne die geringste Spur von Wertung in den Dialogen. Mikkelsens Blick spricht allerdings Bände. Dahinter steckt natürlich mehr, wie man später erfährt, und lange hält der Widerstand bzw. die Abstinenz sowieso nicht.

 

Mads Mikkelsen tanzt

 

Gemeinsam mit Leuten wie Lars von Trier war Thomas Vinterberg innerhalb der Dogma-Bewegung in den 90er-Jahren federführend und hat als Regisseur mit «Festen» brilliert oder mit dem beklemmenden Sozialdrama «Die Jagd» fürchterlich geschockt. Nach einer bemerkenswert langen Durststrecke findet Vinterberg mit «Drunk» wieder zu alter Stärke. Wie bei «Die Jagd» lässt er auf der Leinwand einfach passieren und überlässt dem Publikum, welche Schlüsse es daraus ziehen möchte. Im ersten Drittel des Films werden die Figuren bzw. die Prämisse sehr langsam vorgestellt, gemütlich und fast etwas langweilig, was letztlich bewusst so geplant wurde. Dann nimmt der Film Fahrt auf, wirbelt zwischen Kopfschütteln, Fremdschämen und Verständnis hin und her. Am wichtigsten ist dabei, dass man mit den vier Suffköpfen fühlt. Sie sind einem nicht egal. Und Mads Mikkelsen tanzt, was er sehr gut kann, aber nicht sehr gerne tut, wenn man Interviews mit Thomas Vinterberg glaubt. Selbst die Tanzeinlage kann aus zwei Seiten gesehen werden und in dieser konstant unausgesprochenen Doppeldeutigkeit steckt die Stärke von «Drunk».

 

«Drunk» ist weder Plädoyer für oder gegen Alkohol, sondern eine Geschichte über Menschen und aus dem Leben, auch wenn der Auslöser ungewöhnlich ist.

 

  • «Drunk (Another Round)» (DK, SE, NL, 2020)
  • Regie: Thomas Vinterberg
  • Besetzung: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Magnus Millang, Lars Ranthe, Maria Bonnevie, Helene Reingaard Neumann, Susse Wold, Magnus Sjørup, Silas Cornelius Van, Albert Rudbeck Lindhardt
  • Laufzeit: 117 Minuten
  • Kinostart: 6. Mai 2021

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 05. Mai 2021